Pixel aus Gold

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Spike
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Pixel aus Gold

Beitrag von Spike »

Toller Beitrag:
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Wie habt ihr den Crash erlebt? Ich habe ja 1999 meine Ausbildung angefangen in der Branche ... als Auszubildende haben wir ein Programm geschrieben das die Frühstücksbestellung (!) der Mitarbeiter im Intranet sammelt und via Fax an die nächste Bäckerei weitergibt. Sogar den Brötchenbelag konnte man sich dort aussuchen. Ansonsten wurde sich nicht groß um die Azubis gekümmert, wir programmierten lieber Auswertungstools für Planetarion und kümmerten uns um unsere Farm, in welchem wir mit unserer Berufsschulklasse eine eigene Galaxie bevölkert haben. Was soll ich groß sagen, 2000 gab es die erste Insolvenz die dann doch noch dank Investoren abgefangen wurde und 2002 kurz vor dem glorreichen Börsengang kam die nächste Insolvenz, rechtzeitig zum Ausbildungsende. Das ich vom neuen Inhaber nicht übernommen wurde war selbstverständlich, schließlich wollte man nur eine Marke mit einer handvoll Kernprogrammierer für die wichtigsten Dinge.

Manchmal möchte man aber schon gerne in diese Goldschürferzeit zurück. Naja, Internetprodukte kamen leider 10 Jahre zu früh um damit Geld zu verdienen wenn man nicht grade eBay oder Amazon entwickelt hat :D
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Prof. Dr. Abdul Nachtigaller
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Scooby Doo
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Re: Pixel aus Gold

Beitrag von Scooby Doo »

Nach zwei Semestern Gast-Auftritt im Fachbereich Chemie der TU in Darmstadt wollte und musste ich irgendetwas anderes machen, warum also nicht das Hobby zum Beruf.
Es war das Jahr 1997, "Time to say Goodbye" wurde nach dem letzten Kampf von Henry Maske immer noch im Radio rauf und runter gespielt, das Klon-Schaf Dolly wurde der Öffentlichkeit präsentiert, Pathfinder landete auf dem Mars, und ich machte mich nach einem nicht ganz so überzeugend gelaufenen Beratungsgespräch im Arbeitsamt mit der Broschüre über den brand-neuen Beruf "Fachinformatiker" vertraut. Mit der Aussage "das war früher mal der mathematisch-technische Assistent" konnte ich genauso wenig anfangen wie mit den wagen Formulierungen über die Ausbildungsinhalte. Egal, "das ist irgendwas mit Computern" hat mich, glaube ich, damals direkt überzeugt.
Ein paar Bewerbungsschreiben später hatte ich die Wahl zwischen einer kleinen Klitsche in Darmstadt, die Kassen-Systeme für den Einzelhandel programmierte und vertrieb, irgendeinem Statistik-Unternehmen, das irgendwie mit dem Fraunhofer-Institut zusammen hing, und ... der Hoechst AG in Frankfurt. - "Das ist ein traditionsreiches, großes Unternehmen..." - "Da ist Dein Job auf jeden Fall sicher..." - "Da lernst Du am meisten, bei so einer Firma" - "Wow!", dachte ich "da musst Du hin."
Im September 1997 fingen wir also an, Excel-Makros zu schreiben, in Vorläufern von "Call-Center" und "Helpdesk" die Ruhe zu bewahren, und (wer es noch nicht konnte) das Zehn-Finger-System zu erlernen. Da man uns dazu mit einem schwindligen DOS-Programm in einem Schulungsraum mehr oder weniger allein ließ, hatten wir genug Zeit, Duke Nukem 3D zu installieren und die ersten "LAN"-Games zu zocken. Dabei wurden wir mehr von "Mist, ich bin auf die Windows-Taste gekommen" als von unserem Ausbildungsleiter unterbrochen.
Im Januar 1998 bekamen wir dann zu spüren, was die Weltwirtschaft wohl schon lange wusste: die Hoechst AG wurde zerschlagen, übrig blieb eine Holding und viele kleine Firmen. Da das Netzwerk von diesen Trennungen aber erst mal unberührt blieb, konnten wir in den Mittagspausen Werks-interne StarCraft-Matches bestreiten oder die ersten animierten 3D-Modelle quer übers Werksgelände rendern lassen - Toy Story war noch sehr präsent und lies uns träumen.
Während wir uns sonst mit dem Erstellen von Intranet-Seiten, sog. "Computer-based Training" und Autorensystemen langweilten, tauchten wir zum Teil in die Welt der Hacker ein ... Windows NT kam damals noch nicht so ganz mit den verschiedenen Angriffsmöglichkeiten klar, und so installierten wir, als Bildschirmschoner getarnt, Fernsteuerungs-Software auf Rechnern von Ausbildungs-Kollegen, und hackten Windows Passwörter per Brute-Force.
Insgesamt kann man sagen, dass es bei uns natürlich etwas "gesitteter" zuging als bei den ganzen Internet-Startups. Wir hatten keine Massagen und das Frühstück mussten wir uns selber in der Kantine holen. - Aber mal ehrlich, die Ausbilder, aber vor allem die Lehrer in der Berufsschule waren zum Teil hoffnungslos mit uns überfordert. Das einzig sinnvolle, was wir gelernt haben, war vielleicht noch C++, die Theorie zu objekt-orientiertem Programmieren, ein bisschen SAP und ABAP, und das "Business English", das wir jede Woche eine Stunde hatten. Ungefähr ein Drittel von uns war dann clever genug, dem schaurigen Treiben ein halbes Jahr früher ein Ende zu setzen und bekamen Anfang 2000 den Hype noch dahingehend mit, dass sie teilweise mit AT-Gehältern in easy-peasy Jobs einstiegen. Mitte/Ende 2000 sah das für uns Übrige schon anders aus.
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Spike
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Re: Pixel aus Gold

Beitrag von Spike »

Ah, auch ein Fachinformatiker :D
Unsere Berufsschullehrer hatten auch eher wenig Ahnung, dem Informatiklehrer haben wir das Programmieren beigebracht ( :D) und bei I&K (quasi Netzwerkunterricht) haben wir der Klasse nach uns lustige, nervige Screensaver hinterlassen die in VB geschrieben waren.

Ganz so wild wie im Text war es zwar nicht bei uns aber weder die Ausbilder noch die Berufsschullehrer wussten viel mit uns anzufangen. Damals bekamen die besten Programmierer noch Autos, Anteile und Geldgeschenke als "Entscheidungshilfe" doch bei unserer Firma anzufangen :D

Ich bin übrigens auch über das Arbeitsamt dort gelandet (Mathematisch technischer Assistent, wurde mir auch erklärt und ich konnte nix damit anfangen :D). Habe dort dann den Einstellungstest als Bester absolviert und wurde genommen ...
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Scooby Doo
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Re: Pixel aus Gold

Beitrag von Scooby Doo »

Ist auch sehr interessant, was aus den verschiedenen Leuten von uns geworden ist.
Ein paar haben ihre Seele verkauft, sind also bei Anderson/Accenture, McKinsey oder anderen "Consulting"-Firmen eingestiegen, um die Kunst des Betrügens und Verratens ( = Beraten) zu lernen.
Einige sind hier im Industriepark Höchst geblieben, um SAP-Modul-Betreuer zu werden, Hotline-, PC-Schrauber- oder Applikations-Support zu machen, oder als Projekt-Manager ihre Freizeit aufzugeben.

Ich mache, glaube ich, von allem ein bisschen, aber hauptsächlich Third-Level-Support für ein paar wissenschaftliche Programme, die in der Forschung einer großen Pharma-Firma so gebraucht werden, hier und da Projekt-Arbeit und damit einhergehend 2-3 mal im Jahr so schwindlige Veranstaltungen wie "Kick-off meeting" oder "face to face team building" irgendwo in Frankreich oder den USA - das macht dann teilweise sogar richtig Spaß. :)
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